Samstag, 3. Dezember 2011

Rausch der Verwandlung


Die soziale Marktwirtschaft wie wir sie bisher kannten, wird nach und nach abgeschafft. Eine Wirtschaftsoligarchie wird aufgebaut und wenn es nach Deutschland geht, für ganz Europa. Viele Konservative schwärmen von vergangenen Zeiten den „goldenen“ zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts nämlich. Da war nach ihrer Meinung die Welt und der Staat noch in Ordnung. Ich möchte deshalb ein Buch empfehlen, das diese Zeit anschaulich schildert.

Rezension:
Stefan Zweig - Rausch der Verwandlung -

Der sozialkritische Roman spielt in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die Hauptfigur ist eine junge
Postangestellte aus einem österreichischen Dorf, die in ärmlichen Verhältnissen lebt und ihre kranke Mutter pflegt. Eines Tages wird sie von reichen amerikanischen Verwandten, die Urlaub in der Schweiz machen, in ein Hotel nach Pontresina eingeladen. Dort lernt sie eine andere, eine feudale Welt "ohne Arbeit und ohne Armut" kennen. Es beginnt eine märchenhafte, eine rauschhafte Verwandlung der Protagonistin.


Zweig schildert in seinem typischen emotionalen Erzählstil voller einfühlsamer, sezierender Psychologie diese Verwandlung. Er schildert aber auch das abgehobene Leben der Eliten, die mit der "Selbstverständlichkeit des Geldes" keinen Bezug zur Lebenswirklichkeit der Normalbürger haben und sich von ihnen entfremdet haben. Mehr noch, die von Standesdünkel gelenkt sind, sich von der gewöhnlichen Welt abgrenzen und sich sogar jedweder Mühe des Daseins durch Dienstboten entziehen.

Als wegen gesellschaftlicher Intrigen das Märchen für die Protagonistin endet und sie unvermittelt wieder in ihr Dorf zurückgeschickt wird, kann sie sich nicht mehr in ihr altes Leben einfinden. Sie versucht durch regelmäßige Fahrten nach Wien wenigsten für kurze Zeit ihrer Tristesse zu entfliehen. Dort lernt sie dann einen Hilfsarbeiter kennen, einen jungen Kriegsheimkehrer, dem der Staat seine Jugend, seine Gesundheit, sein Erbe genommen hat. Sie verlieben sich ineinander und treffen sich regelmäßig. Dann erfährt der Plot eine überraschende Wendung und ein ungewöhnliches Ende, das ich nicht verraten möchte.

Obwohl vor rund 80 Jahren geschrieben, ist es ein aktueller Roman. Leider! Er beschreibt, was entfremdete Arbeit und das Versagen gesellschaftlicher Gruppen, besonders das fehlen von Solidarität und das Fehlen eines Sozialstaates mit Menschen macht, die nicht von ihrem Lohn auskömmlich und somit anständig leben können. Vor allem keine Perspektive haben. Es ist eine Abrechnung mit einem solchen Staat, der nicht für seine Bürger da ist sonder vielmehr die Bürger für den Staat (diesen übergeordneten Apparat) da sind. Ganz besonders die unteren Schichten, die auf ihre Funktion beschränkt sind und eine Art Inventar darstellen.
"Nichts macht einen wütender, als wenn man wehrlos ist gegen irgend etwas, das man nicht fassen kann, gegen das, was von den Menschen kommt und doch nicht von einem einzelnen, dem man an die Gurgel kann."

Dennoch, es ist keine linke Kampfschrift. Der Humanist Zweig zeigt vielmehr sehr anschaulich die psychologischen Ursachen und Wirkungen auf die Personen. Auch ist es ein Porträt einer Zeit von gesellschaftlichen Klassen, die wir als vergangen glaubten aber wer weiß...

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