Montag, 12. Dezember 2011

Die verrohte Bürgerlichkeit der Mittelschicht und ihre Unfähigkeit aus der Geschichte zu lernen

Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Das gilt für alle Bevölkerungsschichten. So auch für die Mittelschicht. Die Gruppe, um die sich die Parteien besonders bemühen, wenn sie ihre Strategien für Bundestags- und Landtagswahlen ausrichten. Somit kommt dieser Schicht eine besondere also bedeutende Stellung zu. Was aber, wenn diese sich mehr und mehr von einer modernen, einer aufgeklärten Klasse zu einer dumpfen und rechtspopulistischen Klasse wandelt?

Genau das geschieht laut einer über einen Zeitraum von zehn Jahre laufenden interdisziplinären Langzeitstudie über "Deutsche Zustände". Erstellt vom Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Hervorzuheben sind hierbei diese Befunde:
  • steigende Fremdenfeindlichkeit
  • gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
  • Hang zu rechten und nationalistischen Haltungen

Sozialdarwinismus

Das alles hängt zusammen mit Zukunftsängsten. Der Angst des Einzelnen abzurutschen in ein soziales und wirtschaftliches Abseits. Und so nehmen viele die Schwachen als Konkurrenten wahr, was sich in einem "eisigen Jargon der Verachtung" wiederfindet. Dies gilt im besonderen für Menschen, die dem Leistungsprinzip anhängen. Diese werten jene Gruppen ab, denen sie Leistungswille oder Leistungsfähigkeit absprechen: Zuwanderer, Langzeitarbeitslose, Obdachlose. Nach Meinung von Sozialwissenschaftlern bereiten solche Ansichten und Diskriminierungen aus der bürgerlichen Mitte den Boden für die Anwendung von Gewalt etwa durch Rechtsextremisten. Denn diese fühlen sich durch menschenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung legitimiert und befeuert.

Aber, ist es ein Wunder, dass in einer durch und durch ökonomisierten Welt Sozialdarwinismus, Fremdenfeindlichkeit und Ablehnung der Demokratie rapide zunimmt? Nicht nur in sogenannten „bildungsfernen Schichten“ sondern im wohlsituierten Bildungsbürgertum. In einer „rohen Bürgerlichkeit“ ist so ziemlich alles möglich und so zeigte diese ihre Fratze schon letztes Jahr anlässlich einer Podiumsdiskussion um die Buchvorstellung von Thilo Sarrazin in der Münchner Reithalle besonders deutlich.

Während dieser Veranstaltung wurden die Diskutanten vom Publikum selbst bei sehr neutral formulierter Kritik an den kruden Thesen des Herrn Sarrazin gnadenlos ausgebuht und ausgepfiffen. Wohlgemerkt von „gut gekleideten Grauköpfen“ (SZ) aus dem gediegenen Münchner Bürgertum, die auf Einladung des Münchner Literaturhaus gekommen waren. Der SZ-Journalist Peter Fahrenholz ließ sich gar zu dem vernichtenden Kommentar hinreißen, dass "in der Reithalle ein Hauch von Sportpalast [herrschte]".

Saat des Neoliberalismus

Die Studie macht es deutlich, „die Saat des Neoliberalismus“ (Jens Berger) ist aufgegangen. Das, was die Politik und die Medien mit ihrer Meinungsmache in die Bevölkerung gepflanzt haben. Der Sozialstaat sei demnach ein Auslaufmodell. Die Leistungsträger seien übergebührlich belastet, während Hartz-IV-Empfänger als Leistungsverweigerer, Sozialschmarotzer übergegührlich bevorteilt werden. Das sei spät-römische Dekadenz. Dieser Appell an niedere Instinkte der täglich an uns herangetragen wurde und wird, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine krisengeschüttelte Gesellschaft, die zu Sozialdarwinismus und zur Ökonomisierung von gesellschaftlichen Fragen neigt, gab es im letzten Jahrhundert schon einmal und jeder weiß, wohin das führte.

New Deal vs. Austerität

Im gleichen Zeitraum unter ähnlichen Bedingungen beschritten damals die Amerikaner unter Roosevelt einen anderen Weg als die Deutschen. Sie etablierten den „New Deal“ eine Krisenlösung, die zu einem noch nie dagewesenen Wohlstand in der breiten Bevölkerung führte. Das genaue Gegenteil von Neoliberalismus.

Unsere heutige Regierung beschreitet den Weg von Reichskanzler Brüning mit einer strengen Austeritätspolitik flankiert vom heutigen Neoliberalismus und wiederholt gravieren Fehler von damals. Mehr noch, sie zwingt diesen Weg unseren europäischen Nachbarn über die Eurokrise auf. Eingesetzte Technokraten führen bereits die Regierungsgeschäfte Griechenlands und Italiens. Unsere Regierung zeigt damit, dass sie ebenso wie die bürgerliche Mitte, nichts von der Geschichte gelernt hat.

Selbst als eingefleischter Atheist möchte man heute rufen: Gott steh uns bei...

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